Berichte

Christa-Maria K., Lager Sachsenhausen

Man stellte primitiv gearbeitete Kinderbetten auf, die wir wöchentlich mit Chlorkalk-Lösung abwaschen mussten, weil in den Astlöchern Flöhe und Wanzen nisteten. Damit die Kinder Calcium bekamen, kratzten wir den Kalkputz von den Steinfundamenten der Baracken ab. Um mehr Vitamine für sie zu haben – es gab nur Kartoffeln und gelbe Pferdemohrrüben – sammelten wir zwischen den Baracken die dort wild wachsende „Melde“, die man schon im Krieg als Salat oder Spinat verwendete und die wir roh gehackt ins Essen mischten. Dann brach im Lager die Ruhr aus, an der viele gestorben sind, weil ja alle entkräftet waren. Sie brach zuerst bei den Allerschwächsten, bei unseren Kindern aus!

Hedwig M., Lager Ketschendorf

In Ketschendorf gab es keinerlei Hilfe für die Kinder. Von den dort geborenen Kindern sind etliche gestorben, darunter das von Uschi S. Das Kind einer zu der Zeit gestorbenen Mutter ist von einer Frau K. adoptiert und nach Haus gebracht worden. Hedwig wohnte in Ketschendorf zusammen mit den jungen Mädchen Inge P. und Ursel v. R., die dem Baby außerordentlich gut halfen. Sie tauschten beim Sanitäter gegen Brot Wäsche Verstorbener ein, trennten sie auf und strickten wieder neu. Sie kauten Brot vor. Im Januar 1947 war dann der Transport nach Jamlitz, bei 20° Kälte, im Viehwagen ohne Verpflegung.

Lilo S., Lager Sachsenhausen

… Während der Entbindung mussten die Männer, die zuvor in dem Krankenzimmer lagen, draußen in der eisigen Kälte warten. Später erfuhr ich, dass einer von ihnen dabei erfroren ist. Nach der Entbindung durfte ich noch drei Tage in einem abgetrennten kleinen Raum der Krankenbaracke bleiben. Es war ein schrecklich kalter Winter und die Leute sind damals in Massen gestorben. Ich kehrte dann in die II. Zone zurück. Für mein Kind durfte ich mir zuvor im Magazin aus der Kleidung der Toten Sachen aussuchen. Daraus nähte ich Kinderkleidung und Windeln.

Bericht aus dem Frauengefängnis Hoheneck, (Archiv des Diakonischen Werkes der EKD)  

„… Ihre kleine Tochter war in Sachsenhausen verstorben. Bald darauf gebar ihre Freundin ein Kind und starb bald nach der Geburt. Frau D. nahm das kleine Mädel an Kindes statt an und pflegte es mit rührender Liebe. Von ihrer eigenen Tochter besaß sie ein kleines Bild, das ihr jemand auf ein Stück Papier skizziert hatte. Sie hing sehr an diesem Bild und hielt es gut versteckt, da Zeichnungen solcher Art in den Lagern verboten sind. Nachdem ihr das adoptierte Kind abgenommen worden ist, nahm ihr die Bewachung auch noch das Bild der eigenen Tochter fort. 

Alexander L., geboren im Lager Bautzen

Ich war inzwischen fast neun Jahre alt, als ich eines Tages nach Berlin gebracht und ohne irgendwelche Unterlagen oder Papiere auf einem mir noch heute unbekannten Bahnhof einer Frau übergeben wurde, die mich mit der S-Bahn nach West-Berlin brachte. Wir kamen weit nach Mitternacht auf dem S-Bahnhof Friedenau an. Als wir an die Treppenkante kamen und von unten gesehen werden konnten, da rannte eine kleine Frau die Treppe hinauf und riss mich in die Arme. Sie weinte die ganze Zeit und erzählte mir, sie wäre meine Mutter, aber für mich war sie eine Fremde, die ich wie alle Erwachsenen mit „Sie“ ansprach. Es dauerte lange, bis ich zum „Du“ fand.

Gerhard K., geboren im Lager Sachsenhausen  

Den ersten Apfel, den ich in meinem Leben gegessen habe, das war mit dreieinhalb Jahren bei der Entlassung 1950. Den hat mir ein russischer Wachsoldat geschenkt, der vielleicht Mitleid mit mir hatte, bei all dem Leid und Unrecht, das hier geschah. Der gab mir mit dreieinhalb Jahren den ersten Apfel, den ich in meinem Leben gegessen habe. Das sind Dinge, die vergisst man nicht.

Entnommen dem Buch: „Kindheit hinter Stacheldraht“, als E-Buch erhältlich